Stell dir vor, du bist auf der Suche nach einer neuen Steuerberatung und holst dir zwei Angebote ein. Das erste Angebot beschreibt ziemlich genau die Leistungen, die du brauchst: eine monatliche Buchhaltung, Beratung bei steuerlichen Fragen und die Abwicklung deiner jährlichen Einkommenssteuererklärung. Das zweite Angebot bietet dir auch genau diese Dinge an – allerdings zusätzlich auch noch Hundetraining, Alleinunterhaltung auf Familienfeiern und Ernährungsberatung. Welches Angebot erscheint dir vertrauenswürdiger?
Ich würde mich für Nummer 1 entscheiden. Denn es ist berechenbarer und somit glaubwürdiger. Ich weiß genau, was ich bekomme und dass es das ist, was ich brauche. Das zweite Angebot würde mir sogar etwas unseriös vorkommen, selbst dann, wenn die Person die beste Steuerberatung der Welt anbieten würde.
Viele Kreative machen mit ihrem Portfolio genau diesen Fehler. Sie packen alle ihre Angebote in ein und dasselbe Portfolio. Häufig geschieht das in der Hoffnung, dass sich die potenziellen Kund*innen einfach das aussuchen, was sie brauchen. Doch aus dem oben beschriebenen Grund funktioniert das nicht.
Ein Portfolio ist immer ein Angebot zur Zusammenarbeit. Dieses Angebot richtest du aktiv an die dazu passenden potenziellen Geschäftsparter*innen. Darin liegt ganz viel Selbstbestimmung, denn du entscheidest, was dein Angebot eigentlich umfasst und wem du es unterbreitest. Das bedeutet: Definiere klar dein Angebot und erstelle dazu jeweils ein passendes Portfolio.
Vielleicht denkst du jetzt: »Ja, irgendwie nachvollziehbar, aber ich habe nun mal mehrere Angebote, genau wie die Person in Steuerberatungsangebot Nr. 2. Was mach ich denn da?« Damit bist du nicht allein. Die meisten kreativen Unternehmer*innen haben mehrere Angebote, weil sie auf verschiedenen Märkten bzw. für diverse Zielgruppen arbeiten. Grundsätzlich ist es also etwas ganz Normales und auch etwas Gutes, verschiedene Angebote in Petto zu haben, denn das macht dich zum Beispiel wirtschaftlich unabhängiger vom einzelnen Markt. Die Kunst ist, jeweils genau das Angebot auszusprechen, das gut zu deinem konkreten Gegenüber passt.
Dazu habe ich das Modell der kreativen Identitäten entwickelt. Die kreativen Identitäten sind die großen Schubladen, um die Angebote zu sortieren. Ich selbst bin ja zum Beispiel Illustratorin, Designerin, Buchautorin und Dozentin. Und du würdest es wahrscheinlich ziemlich komisch finden, wenn ich hier auf dem Gute-Mappe-Blog immer mal wieder mein Buchillustrations-Angebot einbauen würde. Denn du brauchst keine Buchillustration, sondern Tipps und Tricks zur Positionierung und Portfoliokonzeption. Das Modell der kreativen Identitäten hilft mir hier, in meine Rolle als Dozentin zu schlüpfen und nicht durcheinander zu kommen 😉
Doch auch eine kreative Person, die ausschließlich Illustrationsangebote im »Bauchladen« hat, kann die kreativen Identitäten nutzen, um klarere Angebote auszusprechen. Denn die Illustrationsmärkte unterscheiden sich in ihren Bedarfen und Bedürfnissen signifikant. Magazinredaktionen bekommen dann »nur« das Angebot zur Editorial-Illustration, die Verlage das Angebot zur Buchillustration. Und es kann sogar sinnvoll sein, noch mehr zu differenzieren und Jugendbuch, Sachbuch, Kinderbuch, Bilderbuch und Geschenkbuch (und ...) bewusst auseinander zu klamüsern. Umso konkreter, desto passgenauer das Angebot.
Die kreativen Identitäten sind also einerseits da, um dein Angebot so passgenau wie möglich zu gestalten. Und sie unterstützen dich, verschiedene Rollen gleichzeitig inne zu haben und in diesen klar aufzutreten.
Denn grundsätzlich spricht gar nichts dagegen, als kreative Person gleichzeitig »Steuerberater*in, Hundetrainer*in, Alleinunterhalter*in und Ernährungsberater*in« zu sein. Es ist nur wichtig, genau zu wissen, wann welches Angebot passt.
Wie anfangen?
- Liste im ersten Schritt konkrete (Wunsch-)Auftraggeber*innen auf und analysiere, was genau diese eigentlich brauchen und wie du ihnen dabei hilfst. (Dein Angebot)
- Sortiere deine Angebote dann im zweiten Schritt in naheliegende Schubladen (Deine Märkte und Zielgruppen).
- Gruppiere dann deine verschiedenen Angebote auf deinen Märkten und finde Oberbegriffe, welche Rollen du in den verschiedenen Bereichen übernimmst (deine kreative Identitäten).
Es kann sinnvoll sein, die kreativen Identitäten ganz klar voneinander zu trennen (und zum Beispiel mehrere Webseiten zu führen). Das wäre bei der Steuerberaterin, die gleichzeitig Hundetrainerin ist, ziemlich sinnvoll, weil beides unter einem Dach zu führen nur Verwirrung stiftet und zwei Angebote vermischt, die keine Überschneidungen aufweisen. Andere kann man zusammenfassen, wie bei der illustrierenden Person, die sowohl Editorial als auch Buchillustration macht – weil die Zielgruppen recht ähnlich sind.
Deshalb heute die Frage an dich: Wie viele kreative Identitäten hast du denn? Und was bedeutet das für deine Angebotsaufstellung?
Hast du noch mehr Portfolio-Fragen? Schreib mir gern, dann nehme ich diese gern in den kommenden Blogposts auf. Liebe Grüße, Franziska